Vom Laub des Nachbarn
Die Spaltung der Gesellschaft bis hin in den letzten Weiler nimmt zu. Das scheint sogar eine jeweils jahreszeitliche Einfärbung zu haben: So sah sich unser Ortsbürgermeister offenbar durch entsprechende Beschwerden veranlasst, im wöchentlichen Mitteilungsblatt die Bürger darauf hinzuweisen, dass man sich zwar mit Herbstlaub im Allgemeinen abfinden muss. Im Besonderen allerdings kann übermäßiger Laubfall aus Nachbars Garten zum ökonomisch begründeten Streitfall geraten.
Wer nämlich durch nachbarschaftlichen Laubfall gezwungen ist, seine bequeme Couchzeit gegen mit körperlicher Bewegung verbundene Aktivitäten wie Kehren, Garagendach säubern oder Regenrinnen reinigen einzutauschen, kann doch tatsächlich seine(n) unmittelbaren Anwohner zur Kasse bitten und eine „Laubrente“ verlangen (nicht zu verwechseln mit Leibrente).
Mal abgesehen davon, dass die Formulierung „deutlich mehr Laub als üblich“ reichlich Platz für Interpretationen lässt, frage ich mich, wie hoch denn so der durchschnittliche Stundenlohn für solche „Laub-Arbeiten“ angesetzt werden kann? Gelten hier die tariflichen Vereinbarungen für private Gartenbaubetriebe, für den öffentlichen Dienst oder müssen die Laub-Kontrahenten jeweils einen eigenen Haustarif aushandeln? Stoff genug also für weitere Auseinandersetzungen, es sei denn – so der salomonische Vorschlag unseres Ortsbürgermeisters – die Gegenspieler einigen sich auf die Beseitigung des Übels.
Allerdings hat auch dies so seine Tücken: Wie kann ich zweifelsfrei nachweisen, dass die verflixten Ahornblätter überwiegend vom Nachbarn Meier und nicht von dessen Anrainer Müller stammen? Soll man gleich alle grenznahen laubtragenden Baumbestände abholzen oder nur Bäume mit hohem Laubaufkommen? Und was macht man mit dem vom Grün befreiten Gelände? Pflastern? Mit Rasen einsäen oder mit möglichst kontrastarmen Kieshaufen aufschütten? So viele Fragen …