Berlin (wiw) – Die Diskussion um die Gas-Pipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee hält an: Die in der vergangenen Woche vom Land Mecklenburg-Vorpommern beschlossene Klimastiftung lässt die öffentliche Kritik lauter werden, so die Naturschutzorganisation NABU. Gleichzeitig muss nach Angaben des NABU das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH) über einen Antrag entscheiden, mit dem der Bau der Pipeline auch zur Vogelrastzeit in der deutschen Ostsee fertiggestellt werden kann. Die Naturschutzorganisation hat jetzt ein von ihre in Auftrag gegebenes Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vorgelegt. Es enttarne die Argumente der Pipeline-Befürworter: Nord Stream 2 sei energiewirtschaftlich unnötig und gefährdet geltende Klimaschutzziele, so der NABU.
Das Fazit des Gutachtens zeigt demnach: Es besteht weder kurz- noch langfristig eine Deckungslücke für Gas. Die bestehende Gas-Infrastruktur decke den aktuellen und zukünftigen Bedarf. Vielmehr drohten durch Nord Stream 2 gefährliche Lock-in-Effekte, die den Ausbau erneuerbarer Energien verzögern können. „Das Gutachten enttarnt die rückwärtsgewandten Argumente der Pipeline-Befürworter und auch die Rechtfertigungsversuche der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern zur Gründung der Klimaschutzstiftung MV. Weder geht ohne fossile Energieträger das Licht aus, noch ist Gas eine klimafreundliche Brückentechnologie. Das Gegenteil ist der Fall. Durch die Methanemissionen bei Förderung, Transport und Nutzung ist Erdgas ein Klimakiller, genau wie Kohle. Wir müssen Nord Stream 2 stoppen“, sagt NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger.
In Auftrag gegeben hatte der NABU das Gutachten, um der energiewirtschaftlichen Argumentation der Nord Stream 2 AG entgegenzutreten, die die Gaspipeline während der besonders sensiblen Zeit der Winterrast im Vogelschutzgebiet Pommersche Bucht – Rönnebank weiterbauen will. Der entsprechende Antrag liegt beim BSH in Hamburg. „Nord Stream 2 konterkariert, ja missachtet deutsches Planungs- und Naturschutzrecht. Für den eiligen Weiterbau auf Kosten von Seetauchern und Meeresenten gibt es keine planungsrechtliche Legitimation“, so Kim Detloff, NABU-Leiter Meeresschutz.
Das DIW-Gutachten analysiert aktuelle Gasverbräuche in Deutschland und Europa, bewertet Zukunftsszenarien, Transit- und Speicherkapazitäten und setzt diese in Beziehung zu den jüngsten Klimaschutzzielen. Konkret heißt es in dem Papier: „Die Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen 2015 sowie die 2020 damit im Einklang verschärften Klimaziele der Europäischen Union führen eindeutig dazu, dass keine fossile Infrastruktur – und damit auch keine Erdgasinfrastruktur mehr errichtet werden darf.“
Kernaussagen des Gutachtens:
- Die Nachfrage nach Erdgas in Europa ist bereits seit 15 Jahren stabil bzw. leicht rückläufig.
- Die bestehende Gas-Infrastruktur ist für den heutigen und zukünftigen Bedarf vollkommen ausreichend, die Nord Stream 2-Pipeline deshalb unnötig.
- Mit fortschreitender Energiewende wird der Gasbedarf in den nächsten Jahren deutlich zurückgehen, in Deutschland zwischen rund 70 Prozent und über 95 Prozent.
- Nord Stream 2 gefährdet die Energiewende, denn jede neue Infrastruktur für Erdgas erhöht das Risiko des sogenannten fossilen Lock-Ins, das heißt es wird schwieriger, die Abhängigkeit von klimaschädlichen fossilen Energieträgern zu verringern.
- Erdgas ist aufgrund des darin enthaltenen klimaschädlichen Methans ungeeignet als Brückentechnologie.
Hintergrund:
Der Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 stützt sich für die deutsche Ostsee auf zwei Genehmigungen. Während der vom Bergamt Stralsund genehmigte Abschnitt durch die Küstengewässer Mecklenburg-Vorpommerns 2018 fertigstellt wurde, fehlen etwa 14 Kilometer in der sogenannten Ausschließlichen Wirtschaftzone (AWZ). Die verantwortliche Behörde ist hier das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH). Durch die angedrohten Sanktionen der US-Regierung standen die Bauarbeiten mehr als ein Jahr still. Im Dezember 2020 wurden 2,6 Kilometer in der deutschen AWZ fertiggestellt, aktuell laufen die Vorbereitungen der Bauarbeiten in dänischen Gewässern. Der zweite Änderungsantrag der Nord Stream 2 AG soll weitere Bauarbeiten trotz Kritik des NABU und des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) auch in den Monaten Januar bis Mai ermöglichen, der Hauptzeit der Winterrast für hundertausende Meeresvögel im EU-Vogelschutzgebiet.
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